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24 Stunden für alle


In einer gut sortierten Enzyklopädie fände man 24-Stunden-Ausstellungen vermutlich in der Kategorie "Dinge, die man nicht erklären kann, sondern erleben muss". Denn 24-Stunden-Ausstellungen sind anders. Sie sind nicht bemüht anders wie ein Restaurant, das sich von der Konkurrenz abheben will, oder wie eine Stadt, die krampfhaft nach einem Alleinstellungsmerkmal sucht, einer Unique Selling Proposition. Sie sind auch nicht virtuos anders wie ein Kurator, der den Trends des Kunstbetriebs immer einen Schritt voraus ist. 24-Stunden-Ausstellungen sind anders, weil sie all diese Kämpfe und Eitelkeiten nicht nötig haben.

24-Stunden-Ausstellungen entstehen nicht am Reißbrett auf halben Weg zwischen Direktion und Marketingabteilung. Sie machen sich weit größere dynamische Prozesse zu Nutze, sie moderieren das Potential einer kreativen Masse, anstatt auf den Genius einzelner Bevollmächtigter zu setzen. Zufälle kuratieren ebenso mit wie die Einfälle aller Beteiligten. Thilo Egenberger und Karsten Wendt, die sich über die Jahre hinweg als die Macher der Schau herauskristallisiert haben, bleiben im Hintergrund. Richtungen geben sie nur zaghaft vor, in erster Linie organisieren und schaffen sie Freiräume. Da beide in der Leipziger Kulturszene verankert sind – nicht zuletzt in der Off-Szene zwischen Bimbo Town, Noch Besser Leben, UT Connewitz und Zoro –, können sie bei der Wahl spannender Orte und pointierter, nicht selten auf den Nerv der Zeit zielender Titel auf breites Wissen zurückgreifen.

Am Anfang steht oft ein Eindruck, ein Erlebnis, ein Gefühl. Das Wir-Schlafen-Nie der New Economy, gepaart mit dem Tempo im vernetzten globalen Dorf, gepaart mit der Sehnsucht nach gesellschaftlicher Veränderung, fand gewissermaßen Ausdruck in der 24-Stunden-Ausstellung "ZEITist" (2002), die Dank Umstellung auf Winterzeit 25 Stunden dauerte. Zur Ausstellungsidee muss dann ein passender Ort gefunden werden. Anschließend werden Künstler zu Ortserkundungen und Frühstücken eingeladen, wobei "Künstler" bewusst weit gefasst wird, einen Akademieabschluss muss niemand vorweisen. Nach und nach nimmt die Ausstellung Konturen an. Work in progress bis zur letzten Sekunde (und mitunter darüber hinaus).

2007 lautet der Ausstellungstitel "Kunst ist kein Spaß", nicht zuletzt angeregt durch Lokalpolitiker, die alternative Kulturprojekte belächeln oder gar zerschlagen wollen. "Kunst ist kein Spaß" wird am Samstag, den 23. Juni 2007, von null Uhr bis 24 Uhr in der ehemaligen Armaturenfabrik (Karl-Heine-Straße 87-93) stattfinden. Es wird die dreizehnte 24-Stunden-Ausstellung sein.

Die erste, "Gefährliche Habenichtse", veranstalteten die Künstler Thomas Matthäus Müller, Andreas Tauber und Harald Alff 1993. Die Bewohner einer WG in der Leipziger Riemannstraße 44 griffen die Idee auf und führen sie als ortlose und nichtkommerzielle GalerieRieRiemann bis heute in wechselnder Besetzung weiter. Das Konzept "Kunst ist für alle da" will Kunst und Künstler an anderen Orten als den etablierten präsentieren und nicht zuletzt Berührungsängste abbauen.

Text: Hendrik Pupat

 

Die erste 24-Stunden-Ausstellung fand 1993 unter dem programmatischen Titel "Gefährliche Habenichtse" in einer Künstler-WG statt. Damals zeigten die Leipziger Künstler Thomas Matthäus Müller, Andreas Tauber und Harald Alff ihre Werke 24 Stunden lang in einem für den Abbruch vorgesehenen Haus. Diese Idee wurde von den WG-Bewohnern der Leipziger Riemannstraße 44 aufgenommen und in wechselnder Besetzung bis heute fortgeführt. Das Konzept "Kunst ist für alle da" will Kunst und Künstler an anderen Orten als den etablierten präsentieren, um die Berührungsängste des Publikums abzubauen.

Für drei Ausstellungen blieb die WG in der Riemannstraße Ort und daher auch Namensgeber der Idealisten-Galeristen. 1996 gab es dort mit "Warten auf Cousteau" und "Oktoberrevolution" zwei weitere 24-Stunden-Ausstellungen. 

Damit etablierte sich diese regelmäßige Unregelmäßigkeit als Geheimtipp in der Leipziger Kultur-Szene. Denn die thematischen Ausstellungen geben den beteiligten lokalen und überregionalen Künstlern nur das Thema für deren Arbeit vor, das einmalige Umfeld entsteht von selbst. Und der Anschein einer reinen Kunstausstellung trügt: für 24 Stunden wird auch vorgelesen, vorgetanzt, vorgespielt und (Film) vorgeführt. 

Nach der Ausstellung "Gefährliche Liebschaften" 1997 gingen die Ausstellungsmacher mit ihren nächsten Projekten auf die Suche nach noch unbekannten Orten in Leipzig. So fand im Jahre 1999 die fünfte 24-Stunden-Ausstellung "Luna-Luna" auf dem Gelände der ehemaligen Leipziger Baumwoll-Spinnerei statt. Sowohl die Beteiligung als auch die Resonanz waren überdurchschnittlich gut. Und diese wurde mit der sechsten 24-Stunden-Ausstellung "Spione-Spione" im November 2000 am Körnerplatz noch übertroffen. Die Möglichkeit, neue Räume für die Kunst zu erobern, begeistert die Künstler und bietet dem Publikum einen zwanglosen und spannenden Zugang zu aktueller Kunst.

Im Sommer 2001 gab es dann mit "Sieben" in der Hans-Poechestraße die bisher letzte künstlerische Hausbesetzung. Denn mit ihrer achten 24-Stunden-Ausstellung am 10. November 2001 war die GalerieRieRiemann auf Einladung der euro-scene im Leipziger Schauspielhaus zu Gast. Das Thema "body/check" inspirierte fast 100 ausstellende Künstler und zog weit mehr als 2000 Besucher an. Aber auch das benachbarte Datenverarbeitungszentrum wurde auf vier Etagen kulturell zweckentfremdet.

Erstmals erschien zu dieser bisher größten GalerieRieRiemann-Veranstaltung auch ein Programm ebenso wie ein Online-Ausstellungskatalog.

Im breiten Fahrwasser zwischen Banalität und Grandezza war das Spektakel am 25. Mai 2002 am Karl-Heine-Kanal auf einem ehemaligen Gewerbehof des für Plagwitz so bedeutsamen Unternehmers Karl Heine zu bestaunen.

 

Die einzige 24-Stunden-Ausstellung von 00:00 bis 24:00 Uhr, die 25 Stunden dauerte:
Die Geister der ehemaligen Comenius-Bibliothek in der Schenkendorfstraße erlebten am 27. Oktober 2002 ihr blaues Wunder. Für einen einzigen langen Tag erwachten die verlassenen Räume aus ihrem Dornröschenschlaf und beherbergten eine Menge augenzwinkernder Blicke auf die Zeit. Vieles nahm die Vergänglichkeit der Dinge und des Lebens aufs Korn, so manches war auch einfach nur "zeitlos"... schön.

 

Die Zwölfte war anders. Konventioneller als üblich. Sie fand in einer großen Halle der ehemaligen Konsumzentrale statt und hatte eine Kuratorin: Cornelia Starke. Als Malerei- und Medienkunststudentin verfügte sie über gute Kontakte zu Studenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst und wusste zum Gutteil schon, welche Arbeiten sie unter dem Titel „MenschMaschineMensch“ (2004) zeigen wollte. Das Spontane geriet zugunsten des Geordneten etwas in den Hintergrund. Doch nicht zuletzt die Nähe zum dritten Irakkrieg verlieh „MenschMaschineMensch“ eine unheimliche Intensität. (hep)

 

 

Zwei Jahre war Pause. Hatte sich das Konzept ausgereizt? Nein, „Phantome“ fand 2006 mit Bravour dorthin zurück, wo man in den 90er Jahren begonnen hatte. Ein ganzes, baufälliges, beseeltes Haus wurde bespielt, das heutige Noch Besser Leben in der Merseburger Straße, vom Klo bis zum Dachboden. Konzerte, Kino, Kunst, ... : Das Chaos kann tanzende Sterne gebären, durchaus. (hep)


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Stand: 11.05.2007 01:00 +0200