Phantome 2006

LVZ, 12.05.2006

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Den Letzten beißt der Einhund

Viel Phantasie, viele Besucher, ein voller Erfolg: 24-Stunden-Ausstellung „PHANTOME“ in Plagwitz

Misses Bates lässt sich nichts anmerken. Die längst verweste Mutter von Alfred Hitchcocks Motel-Besitzer Norman Bates sitzt reglos wie immer mit dem Rücken zum Betrachter im Stuhl. Ihr Totenschädel verzieht keine Miene, und das monotone, vom gestörten Filius nachgeahmte leise Fluchen entrinnt den Lautsprechern. Nur der Schöpferin der Installation „Mutter“, Cornelia Bengsch, läuft in der Nacht ein Schauer über den Rücken: Das Messer, das sie unterm Stuhl drapiert hatte, ist verschwunden.

Es ist wohl einer der Besucher der 24-Stunden-Ausstellung gewesen, der heimlich den thematischen Bogen zu Inka Krügers Kunstwerk geschlagen hat: Das Messer steckt in der Papp-Silhouette einer Duschenden, die ein paar Räume weiter hinter einem Vorhang steht – dank des anonymen Eingriffs ist die berühmte Duschszene aus „Psycho“ perfekt.

Es ist eben alles anders bei den Aktionen der GalerieRieRiemann, die sich – bestenfalls – einmal im Jahr in meist ruinösen Leerstand einnistet, um aus ihm von einer Mitternacht bis zur anderen einen Treffpunkt von Kunst mit Menschen zu machen. Der Samstag im leer stehenden Mehrgeschosser an der Ecke von Merseburger und Karl-Heine-Straße bleibt unter dem Motto „PHANTOME“ als charmanter Gegenentwurf zum prestige- und profit-trächtigen Galerien-Rundgang im Gedächtnis. Voll Phantasie und Spieltrieb, ohne Eitelkeit, Futterneid oder Gewinnorientierung präsentiert sich Leipzigs Kunst-Szene einer Besucherschaft aller Facetten von Punk bis Rentner.

Mit Blick auf den Hype des Arrivierten können es sich Andreas Jeriga und Sandro Porcu nicht verkneifen, in ein ehemaliges Klo auf der Halbtreppe ihren „Einhund“ zu installieren – herrlich-ironische Anspielung auf Olaf Nicolais 85 000 Euro teures schwarzes Einhorn, das er in Judy Lybkes Eigen+Art präsentiert. Ein paar Stufen höher lädt Peter Liebe jeden ein, sich als Zahnarzt an einem Metallgebiss zu schaffen zu machen – samt Praxisgeruch und nerven-bohrender Geräuschkulisse. Einer der Ausstellungsknaller, vor allem für Kinder. Karotz hingegen hat in einem Flur unter der Dielung Schuhe befestigt, die per Pneumatik immer wieder unsichtbar den Gang entlangpoltern. Unter dickem Glas tragen die von Andrea Rausch gefertigten Hände die Besucher auf denselben. Kerstin Rupp fragt klug: „Glaubt Gott an sich selbst?“ oder „Würde er alles wieder so machen?“

Thilo Egenberger, selbst „begeistert von den Ideen und dem Besucherzuspruch“, würde. Mit seiner Crew denkt er schon über den nächsten 24-Stünder nach.

Mark Daniel

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LVZ, 14.05.2006

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Rundgang Kunst, 14.05.2006
12. Leipziger 24-Stunden-Ausstellung: "Phantome"

50 Künstler hauchten einem verwohnten Gründerzeithaus in der Merseburger Straße neues Leben ein

Mancher jagt ihnen ein Leben lang hinterher, vergeblich. Andere sagen von sich, sie stünden mit beiden Beinen fest auf dem Boden und lehnten daher Phantome kategorisch ab. So oder so: Sicher ist, dass gespenstische Erscheinungen gegenwärtig eine Hochzeit erleben. Nicht ein Phantom geht um, sondern Dutzende. Globalisierung, internationaler Terrorismus, Hartz IV, Neoliberalismus, Prekariat, Rechtsextremismus, Überalterung, Sigmund Freud, Brecht, Benn und Rembrandt, Fußball WM und Vogelgrippe, Rauchverbot und Steuererhöhung, Neoromantik und Leipziger Schule.

Sogar die 24-Stunden-Ausstellung schien verblichen zu sein. 2004 ward sie letztmalig gesehen - auf einem Hinterhof in Plagwitz. Doch am 13. Mai 2006 tauchte sie unvermittelt wieder auf. Vitaler denn je. In einem beinah schon abrissreifen Haus an der Karl-Heine-Straße, Ecke Merseburger Straße, das derzeit einen zweiten Frühling erlebt. Georg Reißig, Anja Sokolowski und Olaf Walter richten hier das neue Noch Besser Leben ein - mit Salon, Kneipencafé und viel Freiraum für schöne Ideen, 24-Stunden-Ausstellungen beispielsweise. Es war, seit 1993, die Zwölfte. Der Titel diesmal, wie gesagt: "Phantome". Rund 50 Künstler beteiligten sich, HGB-Studenten wie Meisterschüler, Maler und Maschinenkünstler, Fotografen und Videoartisten, Autodidakten, Besessene.

Jim Whiting ließ es auf dem Dachboden, wo unlängst noch eine Marx-Engels-Werkausgabe gefunden wurde, spuken. Andreas Jeriga und Sandro Porcu bauten ein ehemaliges Außenklo zum Miniwhitecube um und stellten einen Spielzeugfiguren-großen Hund mit Horn in die rechte hintere Ecke, "Einhund". Die Anspielung auf Olaf Nicolais "Einhorn" in der Galerie Eigen+Art ist evident. Peter W. "Karotz" Holden ließ "The man who was never there" von unten gegen den Holzboden treten. Der Maler Steve Lewis richtete ein Schattentheater zum Selberspielen ein. Alexandra Nemecky ließ rosa Puppenphantome durch den Raum schweben. Cornelia Bengsch ließ Norman Bates' Mom auferstehen, wobei die alte Psychotante noch immer recht abgemagert, knochig geradezu, wirkte. Phantomschmerzen und -bilder waren erwartungsgemäß gern behandelte Themen.

Die nächste 24-Stunden-Ausstellung soll bereits im Herbst stattfinden. Wir werden sehen.

hep

Fotos von der zwölften 24-Stunden-Ausstellung "PHANTOME"
Phantome im Radio

Beitrag auf Deutschlandradio/Neonlicht MP3, 04:11 min, 1.37 Mbyte
Manuskript des Beitrages

Beitrag auf MDR info MP3, 02:31 min, 0.78 Mbyte
Manuskript des Beitrages

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MenschMaschineMensch 2004

LVZ Kultur, 9.07.2004

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LVZ, 11.07.2004

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ZEITist 2003

LVZ

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Banale Grande 2002

LVZ 25.5.2002

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LVZ 26.5.2002
Einen Tag lang "Banale Grande" am Canale Heine

Die unerträgliche Banalität des Seins? Die suchte man vergeblich diesen Sonnabend zwischen null und 23.59 Uhr am Leipziger Canale Grande. Statt dessen hatte sich zur neunten 24-Stunden-Ausstellung (Motto: Banale Grande) der GalerieRieRiemann "Der diskrete Charme der Banalität" breit gemacht am Karl-Heine-Kanal. Zwei Dutzend Künstler stellten einen Tag lang versponnene bis anspruchsvolle Werke aus. Schauplatz: Ein ehemaliger Gewerbehof des Unternehmers Heine, ohne dessen Pioniergeist im 19. Jahrhundert aus Plagwitz nie ein florierender Industriestandort geworden wäre.

Heute sind die Fabriken verwaist. Dafür gilt Plagwitz inzwischen als attraktives Wohnviertel, zieht Studenten und Familien an und, tatsächlich ja: Kultur. Das Theaterzelt der jungen Welt, das Kino Cineding, die soziokulturellen Zentren Kanal 28 und Gieszerstraße 16 sind allesamt jungen Datums. Etablierter schon die alte Spinnerei mit Ateliers und Tangofabrik sowie die Schaubühne im Lindenfels. Im Entstehen Heines baufälliger Hof, den der Installationskünstler Peter Liebe durch eine Metallwerkstatt und Studios wiederbeleben möchte.

Ein schönes Umfeld für ein Event, das Party und Kunst verbindet, und einen Pflichttermin darstellt für alle, die Entdeckungen lieben! Die 24-Stunden-Ausstellungen sind stets gruppendynamische Prozesse. Wie sie genau ablaufen, weiß vorab niemand. Diesmal hat sogar der Titel eine ungeahnte Entwicklung durchgemacht. Er sollte schlicht "Canale Grande" lauten. Doch irgendwer verstand "Banale Grande". Und auf eine solche wartet die Menschheit ja spätestens seit Duchamps legendärem Pissoir.

Ein Ready-made grüßte denn auch gleich am Hofeingang: Zwei Bagger, ein großer, ein kleiner, Schaufel an Schaufel "Madonna mit Kind", verriet das Ausstellungsschild. Meter weiter wuchs Gras aus einer Durchreiche. Drinnen lag ein Osternest. Offenbar schon sehr lange, irgendein zombiehaftes, rosafarbenes Etwas war den bunten Eiern entschlüpft. "Vergessen", taufte Ulrike Lux dieses recht unappetitliche Werk. Türen später lockte der Duft von Crépes. Am Tisch wurde diskutiert, was denn nun banal sei. Crpes? Geld? Oder bloß die Banalität selbst?

Das Grübeln verging spätestens an einem Käfig, in den Sandro Porcu einen unermüdlich hin und her wackelnden Braunbären (Farbe auf Holz) gesperrt hatte. Drüber leuchtete der Titel: "Wie macht der Bär?" Davor leuchteten die Augen zumindest der junggebliebenen Gäste.

Dekorative Malerei steuerten Jesse Wood (Banale) und Alexander Friebel (Grande) bei. Listig zeigte sich der in Leipzig gestrandete US-Maler Steve Lewis: Da er seine Werke nicht mit Banalem in Verbindung gebracht sehen wollte, schlüpfte er kurzerhand in die Rolle von Jonny Owe, dem Stargast aus Kalifornien, der allen die Show stehlen wollte und nebenbei noch leuchtend bunte Formspiele auf drei Leinwände zauberte.

In einer zum Kino umfunktionierten Halle standen zudem "Das Wirtshaus im Spessart", Billy Wilders platt-witzige Farce "Eins, zwei, drei", die Künstlerbiografie "Basquiat" und mehr auf dem Programm. An dieser Stelle war längst klar: Was banal ist und was nicht, hängt allein vom Betrachter ab.

Blieben als weitere Möglichkeiten: An der Bar unter einem stattlichen Schiffsrumpf ein Bier nehmen? Zwischen verwaisten Maschinen im Werkraum die Tunes des DJs in Tanz verwandeln? Oder am Kanal abseits des Lagerfeuers Jim Whitings morbid-zauberhafter Installation "Water Baby" zuschauen? Der Maschinenkünstler hatte eine Puppe mit Herzschlag ausgestattet und per Schwenkarm ins Wasser gelassen. Zu verfolgen war der Tauchgang zwischen Algen und Schlamm am Videomonitor. Ein Gast versicherte: "Gerade hat das Baby gelächelt!" So groß kann Banales sein.

Die nächste Leipziger 24-Stunden-Ausstellung findet vermutlich im Herbst am Tag der Umstellung auf die Winterzeit statt. Thema: Zeit. Dauer: 25 Stunden

Hendrik Pupat

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body/check 2001

"body/check" war die achte 24-Stunden-Ausstellung der GalerieRieRiemann und fand am Samstag, den 10. November 2001 als Gastspiel auf Einladung der euro-scene 2001 im Schauspielhaus Leipzig statt.

Kreuzer Online 11/2001
KÖRPERKONTAKT, 24 STUNDEN LANG

Der Aufprall ist kurz: „body/check“. Statt einen Feldverweis auszulösen, eröffnet dieser Zusammenstoß erst das Spielfeld. 24 Stunden langer Körperkontakt zwischen Tanz, Musik, Kunst, Literatur, Film und Publikum. Das Regelwerk ist knapp, erlaubt ist, was erlaubt ist: Pjotr Baran und Thomas Kunst, Thomas M. Mueller und Jim Whiting, Künstler und Enthusiasten, zu Machern werdende Zuschauer sind dabei.

Thilo Egenberger bringt Konzept und Erfolgsfaktor auf den (Start-) Punkt der achten 24-Stunden-Ausstellung, die am 10. November das Schauspielhaus durchflutet. Auf Einladung der euro-scene inszenieren Egenberger und Freunde als GalerieRieRiemann die Spielstätte neu, verwandeln mit ihrem Gastspiel Foyers und Flure zu Bühnen. Von „body/ talk“-Lesungen bis „body/dance“-Inszenierungen verschreiben sich Tänzer, Maler und Installateure einem Herzrhythmus, der dem Reiz an gemeinsam pulsierender Bewegung und Gegenbewegung folgt – bis hin zum in Workshops bodypaintenden Publikum.

Die Stunde Null der 24-Stunden-Ausstellung schlägt 1993 in der Wohnung eines Abbruchhauses, in dem Thomas M. Mueller, Andreas Tauber und Harald Alff 24 Stunden lang eigene Arbeiten zeigen. „Drei Habenichtse“ begeistern – vor allem die Bewohner der Riemannstraße 44 und wecken ihre Lust, die Idee fortzusetzen. Wohnungen, Baustellen, Fabrikhallen verströmen seitdem einmal im Jahr für einen Tag puren Kunstenthusiasmus: 1996 beim „Warten auf Cocteau“ und zur „Oktoberrevolution“. „Gefährliche Liebschaften“, „Luna-Luna“, „Spione-Spione“ und „Sieben“ folgen mit wachsendem Publikum, in unregelmäßigen Abständen. Der Ansatz bleibt gleich: „Kunst ist für alle da.“

„Das Konzept ist so gut, dass es personenunabhängig läuft“, meint Egenberger und verweist auf die durch Spaß an der Sache verschmolzene Zweckgemeinschaft des nichtkommerziellen und unkonventionellen Galerienfreundeskreises. „Es lebt davon, dass es keinen Kurator gibt“ – und vom Vergnügen der Vorbereitung.

Die findet zum größten Teil im ehemaligen Café Maitre auf der Südmeile statt, Egenbergers aktuellem „und immer schon heimlichen Wohnzimmer“, an dessen Tisch sich beim „großen Fressen“ Ausstellungsmacher und Künstler genüsslich planend dem „body/check“ hingeben. Als „bodychecker“ bürsten dabei Schulklassen vom Evangelischen Schulzentrum und dem Tauchaer Gymnasium das bisherige Profil gegen den Strich. Neue Dimensionen auch beim Vordringen in die Tiefen menschlichen Seins. Bei der von Stefan Kanis moderierten Auktion kürt ein Radiologe die drei schönsten von Besuchern mitgebrachten Röntgenbilder. Zu „Spione-Spione“ gab es übrigens eine 24-stündige Observation für den glücklichen Hauptgewinner.

Zurückgewonnen haben die diesjährigen Macher ihre „Vorfahren“. Mueller, Tauber und Alff sind zum ersten Mal wieder gemeinsam dabei, mit ihnen viele Künstler-„Wiederholungstäter“ früherer 24-Stunden. Der „body/check“ reizt. Helfer sind stets willkommen. Auch die Bespielung des benachbarten Rechenzentrums und A Priori-Umfelds in der Gottschedstraße ist noch offen. Der Countdown läuft.

Annette Ullrich

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LVZ, 9.11.2001

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LVZ, 9.11.2001
Leipzigs euro-scene heute rund um die Uhr: Die GalerieRieRiemann lädt zur 24-Stunden-Ausstellung ins Schauspielhaus

Vor zwölf Jahren kam er von Augsburg nach Leipzig. Eigentlich nur zu Besuch. Doch er blieb hängen und veranstaltet seit sechs Jahren in der Off-Szene ungewöhnliche Kunstprojekte an unüblichen Orten wie etwa Abriss-Häuser oder leerstehende Fabriken. Wir sprachen mit dem Gründer der 24-Stunden-Ausstellung Thilo Egenberger über die achte Veranstaltung heute im Schauspielhaus.

Frage: Was ist diesmal anders?

Thilo Egenberger: Wir sind auf Einladung der euro-scene erstmals im Schauspielhaus. Da treffen Offund Hochkultur aufeinander, es entsteht ein spannendes Verhältnis. Alles ist ungewohnt, weil es etwas behördenhaft zugeht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten klappt die Zusammenarbeit jedoch bestens, macht beiden Veranstaltern Spaß. Auf künstlerischer Seite haben wir rund 100 Beteiligungen, das sind mehr denn je. Fast alle Künstler vergangener Ausstellungen sind wieder dabei.

Kommen viele aus Leipzig?

Mindestens 80 Prozent. Die Hochschule für Grafik und Buchkunst war bislang kaum vertreten, diesmal sind rund 15 Studenten, auch Meisterschüler, darunter Marianna Krüger, Nina Jurk, Britta Schulze dabei.

Platzt das Theater bei so vielen Künstlern nicht aus den Nähten?

Wir haben mit dem angrenzenden ehemaligen EDV-Zentrum zusätzlich ein passendes Objekt gefunden vier Etagen mit 2500 Quadratmetern.

Befürchten Sie, langsam zur Institution zu werden?

Überhaupt nicht. Die nächste Veranstaltung im Sommer 2002 ist schon geplant und soll bewusst viel kleiner werden. Immerhin hat es sehr übersichtlich angefangen, auf 200 Quadratmetern mit sechs bis sieben Künstlern. Nächstes Mal ist das Motto "24x15 Quadratmeter": Auf einem großen Platz werden 24 Umzugs-LKW ˆ 15 Quadratmeter im Kreis aufgestellt. 24 Künstler bekommen je einen Wagen für ihre Kunstprojekte.

Und was bleibt gleich?

Zu unserer Philosophie gehört: Der Eintritt ist frei. Diesmal haben wir darum kämpfen müssen. Ursprünglich wollte die euro-scene, dass wir ein paar Mark Obolus nehmen. Dadurch ergibt sich jedoch eine hohe Hemmschwelle, Kunst muss aber für alle sein. Wir bieten Workshops, Kaffee und Kuchen für Familien. Eltern können ihre Kinder für ein paar Stunden abgeben. Zum Beispiel zum Malen von Röntgenbildern. Auch Schulen sind erstmals mit Beiträgen beteiligt.

Das Motto der Ausstellung ist "Body/Check". Wird's gefährlich?

Jein. Am Eingang gibt es einen "Body-Tschäg". Wir haben eine ganzheitliche Ecke mit Shiatsu-Behandlung und Atemtherapie, eine Überraschung mit Körperkontakt vom Aktionskünstler Jim Whiting. Ein Höhepunkt heute Abend ist eine Auktion mit dem freien Regisseur Stefan Kanis. Im Boxring versteigert er mit viel Tam Tam 20 Kunstwerke.

... deren Erlöse wohin gehen?

Das Ganze ist ein Gag, es geht nicht ums Geld. Die Veranstaltung kostet 15 000 Mark, von der Stadt gibt es nichts. Wir wollen das aber auch nicht. Es klappt nur, weil keiner Gage bekommt, wir Veranstalter arbeiten ehrenamtlich.

Was schauen Sie sich auf der euro-scene an?

Boxen im Schauspielhaus-Foyer, heute um 15 Uhr. Toll, das mal zu erleben. Ich würde da sonst nie im Leben hingehen.

Interview: Patricia Batlle

Schauspielhaus, heute bis 24 Uhr. Eintritt frei. Besucher sollten unbedingt Röntgenbilder mitbringen. Das Schönste wird prämiert.

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LVZ, 11.11.2001
Zwischen strenger Form und lustvoller Bewegungsorgie

Besucherrekord: 9000 Zuschauer sahen 15 Aufführungen und ein attraktives Rahmenprogramm zur 11. euro-scene Leipzig

Die diesjährige euro-scene überraschte gleich mehrfach. So gab es nach dem erfolgreichen Jubiläumsfestival im vergangenen Jahr nicht etwa eine Ruhepause im Erfolgsbett der letzten zehn Jahre. Nein, der 11. Jahrgang versuchte kühn den Aufbruch in das nächste Dezennium. Und 9000 Zuschauer, mehr als je zuvor, sahen 130 Künstler aus acht Ländern in rund 30 Veranstaltungen.

Das erstmals von Michael Freundt als künstlerischem Leiter verantwortete Programm hielt unter dem Motto "Leibesvisitationen" (fast) alles, was damit versprochen wurde: Theater und Tanz aus Europa - zeitgenössisch, ungewöhnlich, verblüffend, radikal, vital, mutig, komödiantisch, assoziativ. Ein Angebotsspektrum von streng geformtem, virtuosem Tanz über lust- und kraftvolles Körpertheater bis zur ekstatischen Bewegungsorgie. Eine Skala der Gefühle im rasanten Auf und Ab. Also all das, was avantgardistischem Antrieb eigen ist und junges, wie jung gebliebenes Publikum herausfordert, wenn der menschliche Körper in seiner Stärke wie in seiner Verletzlichkeit im Fokus steht. Auch wenn es sich in unterschiedlich gelungener Ausprägung und Überzeugungskraft in den einzelnen Aufführungen äußert. (Bis hin zum Abbruch der Performance "Aktion 398". Da hatte wohl der Londoner Franko B seinen Körper zu sehr ins Spiel gebracht.)

Zu den Höhepunkten gehörten zweifellos die Gastspiele von Angelin Preljocaj mit "Helikopter & MC 14/22" und Oskaras Korsunovas "Sommernachtstraum". Dazu gesellte sich am Wochenende Wim Vandekeybus' Truppe Ultima Vez aus Brüssel mit "Die inneren Felder aufreißen". Eine furiose Entdeckungsreise von sieben Tanzdarstellerinen in die letztlich unergründlichen Tiefen des Mythos Frau, verwoben in ein spannungsvolles Beziehungsgefüge, entäußert in Tanz und Spiel zwischen stiller Zartheit und ekstatischer Enthemmung. Faszinierend.

Insgesamt ein spannendes Programm mit immerhin zwei Uraufführungen und sechs Deutschlandpremieren - das festigt auch das Image Leipzigs im Reigen der internationalen Avantgarde-Festivals. Das soll, so Michael Freundt, auch künftig so bleiben. Darüber hinaus ist für ihn ein ganz wesentlicher Aspekt die Vernetzung der euro-scene mit Projekten und Institutionen der Leipziger Szene. Die Einbindung vorhandener Strukturen der freien Szene - neben LOFFT und Schaubühne im Lindenfels waren erstmals naTo und Werk II als Spielstätten dabei - soll fortgesetzt und auch inhaltlich intensiviert werden. Koproduktionen wie Iwaokas "FCP" könnten ein Weg sein.

Dafür spricht auch der Erfolg der 24-Stunden-Ausstellung unter dem Motto "body/check", die erstmals im Rahmen der euro-scene stattfand und zu einem zusätzlichen Zuschauermagneten wurde. Rund 100 Künstler, davon der Großteil aus Leipzig, boten ein vielfältiges Spektrum an Tanzperformances, Foto- und Video-Installationen, Fotografien, Skulpturen und nicht zuletzt Gemälden an. Die nicht-kommerzielle Szene machte sich gut in den Räumlichkeiten des Schauspielhauses und des angrenzenden ehemaligen Datenverarbeitungszentrums (DZV). In jeder noch so versteckten Ecke waren Objekte platziert. Entdeckungsfreudig wurden sie von den Besuchern bestaunt, begrabscht, benutzt, belacht.

Zum Beispiel im Erdgeschoss des DZV: ein alter Zahnarztstuhl mit federbespannten metallenen Schwingen. Nach Einwerfen einer Mark in die Konstruktion "Schmerzensflug" des Leipzigers Peter Liebe tönten grässliche Bohrgeräusche und die Stimme eines perfiden Arztes aus dem Gerät. Oder die Geräuschinstallation Joris Wallenheits: Beim Drücken der Pinsel auf ein riesiges Gemälde wurde lautes Quietschen und Pfeifen erzeugt.

Gekauft wurde auch. So auf der jahrmarktähnlichen, ohrenbetäubend lauten Versteigerung im Boxring, der in der Garderobenhalle des Theaters aufgebaut war. Zwanzig Kunstwerke gingen mehr oder minder unterbezahlt an zahlreich bietende Besucher. Die Erlöse dienen der Deckung der Organisationskosten. Die Künstler nahmen allesamt ohne Gage, dafür mit Begeisterung am Event teil.

Die euro-scene ging gestern Abend mit dem Gastspiel des Berliner Theaters Ramba Zamba und der Uraufführung "Sanduhr und Blume" von Diquis Tiquis zu Ende. Die Truppe aus Costa Rica zeigt ihre Produktion heute noch einmal (20 Uhr) in der Schaubühne im Lindenfels.

Klaus Baschleben/Patricia Batlle

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ddp, 11.11.2001
Mehr als 9.000 kamen zur Leipziger euro-scene

Leipzig (ddp-lsc). Mehr Gäste als je zuvor haben das Theaterfestival «euro-scene» in Leipzig besucht. Rund 9.000 Gäste kamen zu den Aufführungen und Gastspielen von Ensembles aus neun Ländern, wie die Veranstalter zum Abschluss am Sonntag mitteilten. Grund seien vor allem das erweitere Rahmenprogramm und die 24-Stunden-Ausstellung «body/check» gewesen, die viele Zuschauer angezogen hätten.

Einer der Höhepunkte war die Eröffnung am Dienstag mit den Arbeiten «Helikopter» und «MC 12/22 - Dies ist mein Leib» des französischen Choreografen Angelin Preljocaj. Im Mittelpunkt des Auftritts des Ballett Preljocaj aus Aix-en-Provence stand wie bei den anderen Inszenierungen des Programms «Leibesvisitationen» die Auseinandersetzung mit dem Körper. Beim «Festival des zeitgenössischen europäischen Theaters» kamen zwei Uraufführungen und sechs Deutschlandpremieren auf die Bühne.

Zu Beginn des nächsten Jahres startet die euro-scene mit der «Tanzplattform Deutschland». Das 12. Theaterfestival wird am 12. November 2002 eröffnet. (Internet: www.euro-scene.de)

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Mitteldeutsche Zeitung, 11.11.2001
Kunst und Körper auf Kollisions-Kurs

Tanz-Performances zur euro-scene Leipzig

Dabei war der kalkulierte Schock nur der Auftakt zu einer Präsentation, die im Schauspielhaus und im benachbarten Datenverarbeitungszentrum bemerkenswerte Überraschungen bereithielt. Neben eher selbstverständlichen Körper-Bildern aus Malerei und Fotografie konnte man intelligente Übertragungen von organischen Zuständen in grafische Darstellung entdecken - etwa in einem Zyklus von Harald Alff Buttermann, der die Werte von Blutdruck-Messungen zum seriellen "Kreislauf" verarbeitete. Andreas Taubers "Körperstruktur" übersetzte das genetische Informationssystem der DNS in ein leibfüllendes Zeichen-Alphabet, Carl Sander untersuchte in der Serie "Body/Measuring" einzelne Körperteile mit bewusst untauglichen Messgeräten und -skalen.

Zwischen harmlosen Kalauern und artistischen Allgemeinplätzen fanden sich zudem hellsichtige und erschütternde Reflexe auf das Zeitgeschehen: So malte Michael Touma "Die Zuschauer" direkt auf Fernseh-Bildschirme und erhob das weiße Rauschen zur Grundierung des heutigen Menschenbildes.

Manuel Reinartz inszenierte für seinen Foto-Triptychon eine Halde aus künstlichen Gliedmaßen, deren anorganische Struktur erst auf den zweiten Blick erkennbar war. Und Verena Hamm nahm das Zitat eines Berichterstatters aus New York zum Anlass für ihre klinisch stille Installation: Über einem symmetrisch ausgelegten Muster aus Atemschutzmasken las man die endlos umlaufende Satzschleife "You can smell the bodys" - "Du kannst die Körper riechen".

Dass die aktuellen Erfahrungen der menschlichen Verletzlichkeit auch die Wahrnehmung der Theater-Produktionen beeinflussen würden, hatten die euro-scene-Veranstalter in ihrer Planung natürlich nicht mehr berücksichtigen können. Aber da der Kurator Michael Freundt bei seiner Auswahl ohnehin eher pathologische Fallstudien als die pathetische Feier von schönen Leibern im Sinn hatte, bot das Programm brisante Assoziationen.

Die begannen bereits beim Blick auf die Eintrittskarte, wo sich das klein gedruckte Wort "Leibesvisitationen" wie die Ankündigung von verschärften Sicherheitsmaßnahmen las. Im Gastspiel der Gruppe Ultima Vez, die mit ihrer Performance "Scratching the Inner Fields (Die inneren Felder aufreißen)" sieben Tänzerinnen auf einen rasanten Crash-Kurs schickt, werden dann Tempo und Text zum Mittel der Gewalt. Da fallen Gewebe-Teile vom Bühnenhimmel, deren Menge sich von der umkämpften Beute schon bald zum bedrohlichen Bombardement steigert. Da liefert die Kollision mit dem Gegenüber den Impuls für eigene Bewegung, führen Körperteile ein gespenstisches Eigenleben und zucken Gestalten unter Peter Verhelsts apokalyptischen Rätseln ("Die Wunden haben die Form von Blumen. Vielleicht lächeln die Toten deshalb").

Das ekstatische Spiel, das der flämische Choreograf Wim Vandekeybus hier mit seinem Septett von Tänzerinnen entwickelt, findet in Michael Laubs Inszenierung "pigg in hell (Schwein in der Hölle)" mit Astrid Endruweit dann eine solistische Steigerung. Selten ist Sexualität als Ur-Thema von Tanz und Theater so eindeutig-eindrücklich, so beängstigend und zugleich so komisch dargestellt worden.

Die Darstellerin, die bruchlos zwischen lockerem Tänzchen und spastischem Krampf wechseln kann, erzählt und agiert wie ein Stand-Up-Komödiant in einer Peep-Show - eine extreme Erfahrung, die der Voyeur im Dunkeln nur angesichts seiner offenbar heilsamen Funktion für die Exhibitionistin im Licht erträgt. Und in solcher Ambivalenz zwischen Therapie und Kunst haben die "Leibesvisitationen" zweifellos starke Momente.

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MDR online, 11.11.2001
Statt Tanz-Solo 24 Stunden Ausstellung

Fans des Tanz-Solos werden etwas vermisst haben, denn die beliebte Plattform für Amateure, Semi-Professionelle und Profis hat es in diesem Jahr nicht gegeben. Erst zur "Tanzplattform Deutschland" im Februar 2002 wird das Solo wieder stattfinden. Freundt erklärte, dass die Chance der Teilnehmer auf Kontakte beziehungsweise weitere Engagements in diesem Rahmen sicher größer sei. Stattdessen gab es in diesem Jahr eine 24-Stunden-Ausstellung im Foyer des Schauspielhauses, das Motto lautet "body/check". Installationen, Bilder, Lesungen und Filme steuerten 70 Künstler aus Leipzig bei. In der Garderobenhalle stiegen Boxer in den Ring. Außerdem traten Körperarbeiter der besonderen Art wie Dirk Bach und die "Sexpertin" Laura Méritt, Soziologen, Sportler und Computerfreaks auf.

Finanzierung: Das einzige Festival für modernes Theater und zeitgenössischen Tanz im Osten verfügt über einen Etat von rund 920.000 Mark. Reichlich die Hälfte der Zuschüsse kommen von Stadt, Land und Bund. Leipzig steuert 242.500 Mark bei, der Freistaat 110.000 Mark. Die restlichen Gelder kommen über Einnahmen, Sponsoren-Engagements und Förderungen ein, unter anderem von der im vergangenen Jahr gegründeten Allianz Kulturstiftung aus München, die nach eigenem Bekunden nicht auf große Logos erpicht ist. Vielmehr geht es der Stiftung laut Geschäftsführer Hünnekens darum, Neuland zu betreten. Die Jugend, die Kultur und der Europa-Gedanke stünden im Mittelpunkt. Die "euro-scene" sei ein idealtypisches Projekt, experimentelles Theater aus Ost- und Westeuropa bekannt zu machen.

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Rheinische Post, 12.11.2001
Gastspiel europäischer Theater-Avantgarde in Leipzig

Leipzig (rpo). In Leipzig ist bis kommenden Sonntag die europäische Theater-Avantgarde zu Gast. 130 Künstler aus acht Ländern präsentieren das Festival zeitgenössischen europäischen Theaters "euro-scene". Gezeigt werden Performance-Kunst, Tanz und zeitgenössische Theaterinszenierungen.

Fast 30 Theatervorstellungen stehen unter dem Motto "Leibesvisitationen" auf dem Programm, darunter sechs Deutschlandpremieren und zwei Uraufführungen. Während die erste Uraufführung, eine Tanz-Performance unter der Choreografie des Japaners Takashi Iwaoka, als "Prolog" bereits vor dem offiziellen Festivalstart über die Bühne gegangen war, erwartet die "euro-scene"-Besucher am letzten Festivaltag noch die Erstaufführung von "Reloj de Arena y Flor". Unter der Choreografie von Alejandro Tosatti und Sandra Trejos verspricht die Gruppe Diquis Tiquis aus Costa Rica "poetisches Körpertheater".

Ein Höhepunkt des Rahmenprogramms des Festivals ist nach Freundts Worten eine 24-Stunden-Ausstellung am Samstag im Leipziger Schauspielhaus. Die veranstaltende GalerieRieRiemann kündigt unter dem Titel "body/check" Grafiker, Maler, Tänzer und andere Künstler an, die von 00.00 bis 24 Uhr einen konzentrierten Einblick in ihr Schaffen geben. Ebenfalls im Rahmenprogramm des Festivals gibt es am Freitag ein Podiumsgespräch, bei dem sich unter anderem der Schauspieler Dirk Bach Fragen zum Thema "Körper, in den Kampf geworfen" stellt. Mit ihm sitzen die Berlinerin Laura Meritt, der Extrem-Perfomancekünstler Ron Athey aus Los Angeles und der Frankfurter Theaterwissenschaftler Günther Heeg auf dem Podium.

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Dresdner Neueste Nachrichten, 12.11.2001
Zwischen strenger Form und lustvoller Bewegungsorgie

Besucherrekord: 9000 Zuschauer sahen 15 Aufführungen und ein attraktives Rahmenprogramm zur 11. euro-scene Leipzig

Die diesjährige Leipziger euro-scene überraschte gleich mehrfach. So gab es nach dem erfolgreichen Jubiläumsfestival im vergangenen Jahr nicht etwa eine Ruhepause im Erfolgsbett der letzten zehn Jahre. Nein, der 11. Jahrgang versuchte kühn den Aufbruch in das nächste Dezennium. Und 9000 Zuschauer, mehr als je zuvor, sahen 130 Künstler aus acht Ländern in 30 Veranstaltungen.

Das erstmals von Michael Freundt als künstlerischem Leiter verantwortete Programm hielt unter dem Motto "Leibesvisitationen" (fast) alles, was damit versprochen wurde: Theater und Tanz aus Europa - zeitgenössisch, ungewöhnlich, verblüffend, radikal, vital, mutig, komödiantisch, assoziativ. Ein Angebotsspektrum von streng geformten virtuosem Tanz über lust- und kraftvolles Körpertheater bis zur ekstatischen Bewegungsorgie. Eine Skala der Gefühle im rasanten Auf und Ab. Also all das, was avantgardistischem Antrieb eigen ist und junges, wie jung gebliebenes Publikum herausfordert, wenn der menschliche Körper in seiner Stärke wie in seiner Verletzlichkeit im Fokus steht. Auch wenn es sich in unterschiedlich gelungener Ausprägung und Überzeugungskraft in den einzelnen Aufführungen äußert.

Zu den Höhepunkten gehörten zweifellos die Gastspiele von Angelin Preljocaj mit "Helikopter & MC 14/22" und Oskaras Korsunovas "Sommernachtstraum". Dazu gesellte sich am Wochenende Wim Vandekeybus' Truppe Ultima Vez aus Brüssel mit "Die inneren Felder aufreißen". Eine furiose Entdeckungsreise von sieben Tanzdarstellerinen in die letztlich unergründlichen Tiefen des Mythos Frau, verwoben in ein spannungsvolles Beziehungsgefüge, entäußert in Tanz und Spiel zwischen stiller Zartheit und ekstatischer Enthemmung. Faszinierend.

Insgesamt ein spannendes Programm mit immerhin zwei Uraufführungen und sechs Deutschlandpremieren - das festigt auch das Image Leipzigs im Reigen der internationalen Avantgarde-Festivals. Das soll, so Michael Freundt, auch künftig so bleiben. Darüber hinaus ist für ihn ein ganz wesentlicher Aspekt die Vernetzung der euro-scene mit Projekten und Institutionen der Leipziger Szene. Die Einbindung deren vorhandener Strukturen - neben LOFFT und Schaubühne im Lindenfels waren erstmals naTo und Werk II als Spielstätten dabei - soll fortgesetzt und auch inhaltlich intensiviert werden. Koproduktionen wie Iwaokas "FCP" könnten ein Weg sein.

Dafür spricht auch der Erfolg der 24-Stunden-Ausstellung unter dem Motto "body/check", die erstmals im Rahmen der euro-scene stattfand und zu einem zusätzlichen Zuschauermagneten wurde. Rund 100 Künstler, davon der Großteil aus Leipzig, boten ein vielfältiges Spektrum an Tanzperformances, Foto- und Video-Installationen, Fotografien, Skulpturen und nicht zuletzt Gemälden an. Die nicht-kommerzielle Szene machte sich gut in den Räumlichkeiten des Schauspielhauses und des angrenzenden ehemaligen Datenverarbeitungszentrums (DZV). In jeder noch so versteckten Ecke waren Objekte platziert.

Die euro-scene ging mit dem Gastspiel des Berliner Theaters Ramba Zamba und der Uraufführung "Sanduhr und Blume" von Diquis Tiquis zu Ende. Einziges Reqiusit auf der Spielfläche der Schaubühne im Lindenfels war ein alter Schrankkoffer. In dem emigrierte Alejandro Tosattis Vater einst von Italien nach Costa Rica. Tosatti ist die eine Hälfte von Diquis Tiquis. Er plumpst aus dem Gepäck, Grillen zirpen, folkloristisch anmutende Musik ertönt. Ein abstraktes Spiel beginnt, mit stilisierten Abläufen und betonter Gestik. Schauspieler Tosatti wie Tänzerin Sandra Trejos tragen unauffällig weiße Leinenkleider, das Augenmerk liegt so auf Mimik, Hand- und Fußbewegungen. Die Gebärden zeichnen Pflanzen- und Tierwelt Costa Ricas nach. Eine Prozession präsentiert die Menschen des zentralamerikanischen Landes - fröhlich, stolz, leidenschaftlich, religiös ... Nach einer guten Stunde hebt der Koffer flügelschlagend ab. Der surreale, einfühlsam illuminierte Bühnenzauber ist vorbei.

Klaus Baschleben/Patricia Battle

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Bocholt-Borkener Volksblatt, 16.11.2001
Gastspiel europäischer Theater-Avantgarde in Leipzig

Leipzig (rpo). In Leipzig ist bis kommenden Sonntag die europäische Theater-Avantgarde zu Gast. 130 Künstler aus acht Ländern präsentieren das Festival zeitgenössischen europäischen Theaters "euro-scene". Gezeigt werden Performance-Kunst, Tanz und zeitgenössische Theaterinszenierungen.

Fast 30 Theatervorstellungen stehen unter dem Motto "Leibesvisitationen" auf dem Programm, darunter sechs Deutschlandpremieren und zwei Uraufführungen. Während die erste Uraufführung, eine Tanz-Performance unter der Choreografie des Japaners Takashi Iwaoka, als "Prolog" bereits vor dem offiziellen Festivalstart über die Bühne gegangen war, erwartet die "euro-scene"-Besucher am letzten Festivaltag noch die Erstaufführung von "Reloj de Arena y Flor". Unter der Choreografie von Alejandro Tosatti und Sandra Trejos verspricht die Gruppe Diquis Tiquis aus Costa Rica "poetisches Körpertheater".

Ein Höhepunkt des Rahmenprogramms des Festivals ist nach Freundts Worten eine 24-Stunden-Ausstellung am Samstag im Leipziger Schauspielhaus. Die veranstaltende GalerieRieRiemann kündigt unter dem Titel "body/check" Grafiker, Maler, Tänzer und andere Künstler an, die von 00.00 bis 24 Uhr einen konzentrierten Einblick in ihr Schaffen geben. Ebenfalls im Rahmenprogramm des Festivals gibt es am Freitag ein Podiumsgespräch, bei dem sich unter anderem der Schauspieler Dirk Bach Fragen zum Thema "Körper, in den Kampf geworfen" stellt. Mit ihm sitzen die Berlinerin Laura Meritt, der Extrem-Perfomancekünstler Ron Athey aus Los Angeles und der Frankfurter Theaterwissenschaftler Günther Heeg auf dem Podium.

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Hallo! Leipzig, 16.11.2001

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sieben 2001

"Sieben" fand am Samstag, 16.6.2001 in Leipzig in einer ehemaligen Druckerei in der Hans-Poeche-Str. 2-4 statt.

LVZ Online 15.06.2001
Gesiebte Subkultur-Luft an der alten Druckerei

24-Stunden-Ausstellung dreht sich ab Mitternacht um die magische "Sieben"

Männer mit hochgeschlagenem Mantelkragen wird man dieses Mal wohl nicht treffen. Eher die sieben Zwerge. Oder sieben Raben, die über sieben Brücken gehen und sieben auf einen Streich zu Siebenschläfern werden.

Die "Spione, Spione" vom letzten Jahr haben ausgedient, die aktuelle und siebte 24-Stunden-Ausstellung der GalerieRieRiemann findet von Freitag 00.00 Uhr bis Samstag um Mitternacht in einer ehemaligen Druckerei in der Hans-Poeche-Straße 2-4 statt. Der Titel? "Sieben" natürlich.

Zwei Stummfilme in Livebegleitung bilden den Rahmen der Ausstellung. "Seven Chances" mit Buster Keaton, wird Freitagnacht den Auftakt machen. Der zweite Film, "Menschen am Sonntag" von 1930, wird genau 24 Stunden später das Ende des Spektakels einläuten.

"Das Spannende an dem Konzept ist die Parallelität der Künste und Veranstaltungen", meint einer der Organisatoren. Gemeinsam mit dem "harten Kern" - Thilo Egenberger, Astrid Hamm, Silke Kannengießer und Annie Egert - kümmert er sich um die Raumverteilung, bietet Hilfestellung jeder Art und gestaltet das Programm. Das beinhaltet Lesungen, Bilder, Raum- und Videoinstallationen, Fotoarbeiten, Siebdrucke, Tanz und Musik. Ein großes, konzentriertes Treffen unterschiedlicher Künstler und Künste.

Etwa 25 bis 30 Kreative beleben auf drei Etagen die 24 Stunden, unter anderen Raban Ruddigkeit, Thomas Matthaeus Müller, Jim Whiting (Bimbo Town), Conny Bengsch, Erik Engelhardt.

Hinter dem Projekt versteckt sich wieder die "virtuelle" GalerieRieRiemann, ein Pseudonym für das Organisationsteam, dem von Jahr zu Jahr neue Engagierte angehören. Seit 1993 finden die Ausstellungen an wechselnden Orten statt, die letzte unter dem Titel "Spione Spione" im November 2000. Nichtkommerzielles Konzept ist, den verschiedensten Künstlern die Möglichkeit zu geben, ihren Ideen zu einem vorgegebenen Thema freien Lauf zu lassen.

Klingt also alles spannend wie immer. In wenigen Stunden sind wir schlauer.

Christina Dirlich

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LVZ 18.06.2001
Sieben Weinbergschnecken im 24-Stunden-Rennen

Ausstellung verband Lesung mit Party, Industriebrache mit blühender Kunst

Feierabend. Längst haben die Mechaniker den Betriebsraum verlassen. Durch die leicht geöffnete Tür quillt nun Nebel hinab ins Treppenhaus. Der Türspalt gibt den Blick frei auf liegen gebliebene "7 up"-Flaschen. Eine Maschine, die aussieht wie eine kleine Förderpumpe, erzeugt einen monotonen Rhythmus. Dazu tanzen, selbstvergessen bis -verliebt, ellengroße Figuren. Ein Mann, eine Frau. Kleine mechanische Meisterwerke und - Flaschengeister?

"7 up and down" hat Jim Whiting seinen traumhaften Beitrag zur siebten 24-Stunden-Ausstellung genannt. Schauplatz war diesmal eine alte Druckerei im Graphischen Viertel. Thema des Beinah-Jubiläums: "Sieben". Dazu gab es zum Beispiel beinah sieben Siebdrucke. Liebenswert wie immer: Thomas M. Müller mit seiner "Großen Frau". Bissig Peter Frankes "Blühende Landschaften". Dicht am Thema Roger Troks "Sieben willkürlich ausgewählte Werkzeuge ...". Nur der siebte Druck bleibt Michael Fischer-Art im Atelier.

Start von "Sieben" war (leider nicht Freitagabend 7 Uhr, sondern) Samstag früh 0 Uhr. Hinter einem Vorhang tauchte der angewinkelte Kopf von Ulrich Miller auf. "Kino?", fragte der Lichtschicht-Macher in den noch spärlich besuchten Barraum. Seine verdrehte Haltung verlieh ihm den unwiderstehlichem Charme Quasimodos.

Kino also, Buster Keatons Stummfilmklassiker "Sieben Chancen". Die turbulente Geschichte eines Junggesellen, der an seinem 27. Geburtstag bis sieben Uhr verheiratet sein muss, um ein Sieben-Mio.-Dollar-Erbe zu erhalten. Durch die Fabrik dudelte derweil Musik aus sieben RGW-Ländern. Ein Video stellte Familie Sieben vor. Sieben Weinbergschnecken bestritten ein 24-Stunden-Rennen. Eine Rauminstallation mit sieben blauen Penissen, die Ball spielten, lasen, rauchten ... trug den vieldeutigen Titel "... gleich kommt Schneewittchen und stört".

Nicht stören ließ sich Jim Whiting. Seine Tür blieb bis 2 Uhr geschlossen. Und auch danach feilte der Maschinenkünstler (Bimbo Town) noch an seinen überm Fahrstuhlschacht tanzenden Puppen. Nach und nach bewegten sich immer mehr Gegenstände. Elegant verknüpfte die Installation Fabrik-Historie mit dem vier Etagen tiefer versammelten Partyvolk.

"Hätte Whiting noch mehr Zeit gehabt, sogar der Fahrstuhl würde wieder funktionieren", scherzte Patrick Becker von re:tina. Dem Verein, der in dem TLG-verwalteten Gebäude ein Zentrum für Kultur und Neue Medien schaffen möchte - worauf Henrik Wöhlers eindringliche Lesung von Poes "Verräterischem Herz" einen angenehmen Vorgeschmack gab.

Zum Ausklang (und als Einstimmung auf den nächsten Tag) lief um 24 Uhr ein letzter Stummfilmklassiker: "Menschen am Sonntag" - und eben solche feierten bis in die Morgenstunden munter weiter.

Hendrik Pupat

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Spione-Spione 2000

LVZ, 03.11.2000
Kundschafter dechiffrieren sich um Kunst und Kragen

Entlarvt: 24-Stunden-Ausstellung "Spione-Spione" lädt von heute Nacht bis morgen 24 Uhr zu kultureller Konspiration an den Körnerplatz 3

Sie tragen lange Mäntel, den Kragen hochgestellt. Ein Schlapphut hängt tief über die Augen, die linke Hand umschließt den kalten Griff des handlichen Revolvers. Spione eben. Hat doch jeder schon mal gesehen. Nicht? Heute nacht ab 24 Uhr bis morgen 24 Uhr sind sie alle da, bei der 24-Stunden-Ausstellung "Spione-Spione" in den Garagen, Verliesen und konspirativen Wohnungen auf dem Hinterhofgelände des Körnerplatz 3. Nur 100 Meter entfernt vom unverschlüsselten Treiben in naTo oder KilliWilly gibt es Lesungen, Filme, Fotos, Ausstellungen, Workshop und Observationen. Schaffende Kulturköpfe wie Stefan Kanis und Volker Insel dechiffrieren klassische Literatur zum Thema. Auch um 24 Stunden lang Filme zeigen zu können, gibt es Material am Meter. Da sind Fritz Langs stumme "Spione", Alfred Hitchcocks "Die 39 Stufen", Ernst Lubitschs "Ninotschka" oder der Defa-Thriller "For Eyes Only" von 1961, als die Spione noch Kundschafter für den Frieden hießen. Von James Bond, Emma Peel, Mata Hari und dem Großen Blonden mit dem schwarzen Schuh mal ganz abgesehen. Martin Jehnichens Endoskop-Fotos spionieren aus dem Inneren eines Brötchens durch die Wurst ins Auge. Ulrike Lux und Uwe Schürmann zeigen Malerei, Cordula Giese und Stefan Hoyer Fotografien. Geheime Räume bergen Installationen oder Dusch-Beobachtungen. Damit die Wissenschaft nicht zu kurz kommt, widmen sich Vorträge der Astrologie und physiologischen Grundlagen visueller Spionage. Bei der Tombola des VolksKunstKomitees winkt eine Ganztagsobservation als Hauptgewinn.

"Spione-Spione" ist die sechste 24-Stunden-Ausstellung seit 1993. Das nichtkommerzielle Projekt lebt von den Ideen und den Enthusiasmus der Beteiligten. Und dem selbst gebackenen Kuchen der Gäste im Tagescafé. Der Eintritt ist frei.

nina

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Luna 1999

LVZ, 28.101999
Alles nur aus Liebe zu Leipzig: Die Augsburger Thilo Egenberger und Elmar Laukmanis veranstalten 24-Stunden-Partys und mehr

Mit Lkw und Enthusiasmus für das gewisse Etwas

"Das Schönste an Augsburg ist der Zug nach München", zitieren sie Bert Brecht und meinen ihre Ankunft in Leipzig. Thilo Egenberger (30) und Elmar Laukmanis (38) haben sich auf den ersten Blick in die Stadt verliebt. Der eine ’90, der andere ein Jahr später.

"Leipzig ist ein Dorf und verändert sich täglich", schwärmt Thilo nach neun Jahren mit noch immer blitzenden Augen. Er würde nie "wegen eines Jobs in eine andere Stadt gehen". Wichtiger sei, die Menschen zu mögen, die Atmosphäre und das unerklärliche, gewisse Etwas. Teil davon sind inzwischen auch die beiden Augsburger mit ihrem ansteckenden Enthusiasmus. Natürlich hätte der Handelskaufmann Thilo auch mit Imbiss, Videothek, Küchenstudio oder Handyladen am Aufschwung teilhaben können. Aber er sei "kein Glücksritter" und betreibt deshalb die Großhandels- und Dienstleistungsgesellschaft Shop’n’Roll. Und das ist mehr als ein Tankstellen-Lieferservice. Die schwarzen Lkw sorgen dafür, dass der Rubel rollt. Stadtbekannt jedoch sind sie als Ausstellungsraum auf dem Augustusplatz (mit Arbeiten des Grafikers Thomas Matthaeus Müller) oder als Leinwand für einen Studenten-Ballett-Film. Die Inselbühne spielte im Sommer von der Ladefläche ihr "Les-Luna-Four"-Programm und tourte damit an der Ostseeküste. Die meisten Ideen von Egenberger und Laukmanis haben wenig mit Geschäft und viel mit Kunst zu tun. Sie werden in Kneipen geboren oder auf, der Dachterrasse des großen Gemeinschaftshauses in Schleußig mit Blick auf den Park. Es gibt so "30 bis 40 Leute, die mitziehen". Und wöchentlich kommen neue dazu. "Naja, monatlich" schränkt Elmar ein. Da ist der (sympathische) Steuerberater Realist und der ruhigere Part in der Power-Gemeinschaft.

Ihren jüngsten Kraftakt, die 24-Stunden-Luna-Party in der alten Spinnerei organisierten Thilo und Elmar, um "Freude zu bereiten". Sie genießen den Moment, wenn das Fieber der Vorbereitung alle Beteiligten unter Strom setzt. Und das "unheimliche Glücksgefühl", wenn nach zwei Nächten alles vorbei und gut gelaufen ist. Gelegentliche Zweifel kompensiert Thilo mit einer Art Gottvertrauen. Als am Vorabend zur Luna-Party allein der Mond am Himmel pünktlich, ansonsten aber noch kein Nagel in der Wand war, habe die Motivation gefährlich nachgelassen, erzählt er. Doch nachdem wenig später der erste Scheinwerfer brannte, habe er gewusst: "Das wird geil". Und wenn Thilo das weiß, spüren es auch die anderen. "Spontan bleiben" beschreibt Elmar das weit gefasste, unkommerzielle Angebot für Bilder, Tanz, Musik oder Performance rund um ein vorgegebenes Thema. Kein abrechenbares Ergebnis ist das Ziel, sondern Bewegung: Das Konzept setzt auf Zeit (24 Stunden) und jede Menge Erlebnis-Räume, Überraschungen immer inbegriffen. Das war schon vor Jahren in der WG Riemannstraße so. 300 bis 400 amüsierten sich an den Themenabenden "Warten auf Cousteau", "Oktoberrevolution" oder "Gefährliche Liebschaften". Mit "Spione, Spione" halten die beiden im nächsten Mai 24 Stunden die Szene wach. Und sich bis dahin mit ihrem Credo "Es gibt noch viel zu tun".

Janina Fleischer

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