Verena Hamm, Hannover

Augen-Blicke aus sieben Jahren

Bodeninstallation

Technik:

Fotografie, am Computer bearbeitete Selbstportraits - Pixeleffekt

Material und Größe:

auf 49 einzelne Holzplatten (28 x 28 cm) gezogene Fotoausdrucke oder Worte, Sprühkleber, Klebeband, Polaroid, Europaletten
Gesamtgröße 2,10 x2,10 m

„Die Kunst wirkt auf unsere allgemeine Sensibilität, nicht ausschließlich auf unseren Verstand. Der Sinn eines Werkes beruht immer auf der möglichen Mitarbeit des Betrachters (...) Wer ohne innere Bilder lebt, ohne Imagination und ohne die Sensibilität, die man braucht, um im eigenen Inneren Gedanken und Gefühle zu assoziieren, der wird gar nichts sehen (...). (Antoni Tàpies)

Verena Hamm beschäftigt sich bereits seit geraumer Zeit mit den ThemenKörper, Raumund Spurensicherung.Aspekte, die sie auch in ihrem Werk ,,Augen-Blicke aus sieben Jahren’’ mit großer Feinfühligkeit und einem hohen Maß an Komplexität wieder aufnimmt.

Der Betrachter begegnet einem Raum, auf dessen Boden eine Art Koordinatensystem eingezeichnet ist. In dessen Mitte steht ein Turm, ein Körper aus verschieden dicken, mit Fotosoder Worten bezogenen,Holzplatten. Auf denBildern ist die Künstlerin selbst zu sehen: schnappschussartige Selbstporträts aus einem Zeit-Raum von sieben Jahren. Eine Art fotografisches Tagebuch als Mittel der Dokumentation und Auseinandersetzung mit dem Ich. Allerdings ist auf den Bildern ihr Kopfmit denSinnesorganenAugen, Ohren, Nase und Mund zu sehen - jedoch nie der komplette Körper und die Hände.

Hier sieht man einen eher ,,verkopften’’ Menschen, der sich scheinbar weniger über den eigenen Körper definiert als über Sinn und Sinnlichkeit.

Es gibt keine Mauer oder Abweisung für den Betrachter- im Gegenteil, das Werk hofft auf die ästhetische Explorationsfreude des Rezipienten, er wird explizit zur Erkundung des Kunstwerkes aufgefordert, was wiederum Erkundungder eigenen Person bedeutet.

Die auf den Fotos fehlende Körperlichkeit wird zum Einen durch die unterschiedlichen Stärken der Holzträger ersetzt, die zusammengefügt eine reliefartige Oberfläche bilden.

Das Werkentsteht aus der Zerstörung/ Veränderung des Anfangskörpers, nämlich des Stapels, und durch das aktive Eingreifen des Betrachters.

Die Veränderung des Menschen während eines Zeit-Raums von sieben Jahren wird also auch in derBeschaffenheit und Veränderlichkeit des Kunstwerkes deutlich. Der leere Raum wird von Leben durchzogen, Leben im Sinne vonKunst als Spiegelung vorhandener Wirklichkeit undAktion als Erzeugung einer neuen Realität.

Verena Hamm initiiert ein Erfahrbarmachen der Ausstellungsfläche. Zudem beleiht sich die Künstlerin bei dem Rezipienten, der fehlende Tastsinn wird durch die Hände des Betrachters ersetzt, der damit die Selbstporträts in eine völlig neuen Zusammenhangbringen kann. Durch das Hinzufügen der Wörter ergeben sich neue Sinnzusammenhänge, die eher sinnhafte Bedeutung haben. „Erst wenn Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit zu einer Einheit verschmelzen, entsteht ästhetisches Denken“ (Welsch)

Auf dem Boden liegend entsteht eine neue Oberfläche, es vermischen sich die Augen-Blicke der einzelnen Jahre. Das Photo ist aus chronologischen Zusammenhängen herausgenommen - die Möglichkeit des Schöpferischen besteht und der Geist überwindet die Technik, denkt sich die Ereignisse zu Gleichnissen des Lebens um.

Das Schöne hierbei ist die ästhetische Erfahrung des Betrachters am originalen Werk.Die ästhetische Erfahrung vermag, anders als bei logischen, historischen und zweckbestimmten Erfahrungen, im Subjekt Empfindungen und Wahrnehmungen angesichts von sinnlich - symbolischen Werken hervorzurufen und einen Reflexionsprozess in Gang zu setzen.

HammsKunstwerk verkörpert ihre eigenen Erfahrungen während der vergangenen sieben Jahre und der Betrachter kann sich darauf einlassen, dabei Wahrnehmung und Symbolverstehen üben, es be-greifen.

Der Betrachter rekonstruiert eine vergangene Wirklichkeit in einer ihm ganz individuellen Zusammensetzung der Worte und Bilder und lässt so seine eigenen Maßstäbe einfließen.

Die Bedeutung der Worte und des Werkes an sich, ergeben sich aus dem Gebrauch und dem Erleben heraus und die Bodenfläche wird zum ,,Resonanzboden“ für unsere eigenen Körper und Assoziationen.

So wie der Mensch individuelle Abschnitte und Entwicklungsstufen durchlebt, so entsteht auch das Werk „Augen-Blicke aus sieben Jahren’’ in verschiedenen Etappen, denn die Veränderung des Bildes findet insgesamt sieben Mal statt. Jeder Zustand der Veränderungwird von der Künstlerin im Anschluss per Polaroidkamera festgehalten - "gesichert"- dokumentiert und an einer Wand des Raumespräsentiert.

"Identität ist immer weniger monolithisch (aus nur einem Stein bestehend), sondern nur noch im Plural möglich - Leben unter heutigen Bedingungen ist Leben im Plural, will sagen: Leben im Übergang zwischen unterschiedlichen Lebensformen’’ ( W. Welsch)

 Astrid/GalerieRieRiemann

Juni 2001

Kontakt: vhamm@web.de

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