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Sieben Weinbergschnecken im 24-Stunden-Rennen

Ausstellung verband Lesung mit Party, Industriebrache mit blühender Kunst

Feierabend. Längst haben die Mechaniker den Betriebsraum verlassen. Durch die leicht geöffnete Tür quillt nun Nebel hinab ins Treppenhaus. Der Türspalt gibt den Blick frei auf liegen gebliebene "7 up"-Flaschen. Eine Maschine, die aussieht wie eine kleine Förderpumpe, erzeugt einen monotonen Rhythmus. Dazu tanzen, selbstvergessen bis -verliebt, ellengroße Figuren. Ein Mann, eine Frau. Kleine mechanische Meisterwerke und - Flaschengeister?

"7 up and down" hat Jim Whiting seinen traumhaften Beitrag zur siebten 24-Stunden-Ausstellung genannt. Schauplatz war diesmal eine alte Druckerei im Graphischen Viertel. Thema des Beinah-Jubiläums: "Sieben". Dazu gab es zum Beispiel beinah sieben Siebdrucke. Liebenswert wie immer: Thomas M. Müller mit seiner "Großen Frau". Bissig Peter Frankes "Blühende Landschaften". Dicht am Thema Roger Troks "Sieben willkürlich ausgewählte Werkzeuge ...". Nur der siebte Druck bleibt Michael Fischer-Art im Atelier.

Start von "Sieben" war (leider nicht Freitagabend 7 Uhr, sondern) Samstag früh 0 Uhr. Hinter einem Vorhang tauchte der angewinkelte Kopf von Ulrich Miller auf. "Kino?", fragte der Lichtschicht-Macher in den noch spärlich besuchten Barraum. Seine verdrehte Haltung verlieh ihm den unwiderstehlichem Charme Quasimodos.

Kino also, Buster Keatons Stummfilmklassiker "Sieben Chancen". Die turbulente Geschichte eines Junggesellen, der an seinem 27. Geburtstag bis sieben Uhr verheiratet sein muss, um ein Sieben-Mio.-Dollar-Erbe zu erhalten. Durch die Fabrik dudelte derweil Musik aus sieben RGW-Ländern. Ein Video stellte Familie Sieben vor. Sieben Weinbergschnecken bestritten ein 24-Stunden-Rennen. Eine Rauminstallation mit sieben blauen Penissen, die Ball spielten, lasen, rauchten ... trug den vieldeutigen Titel "... gleich kommt Schneewittchen und stört".

Nicht stören ließ sich Jim Whiting. Seine Tür blieb bis 2 Uhr geschlossen. Und auch danach feilte der Maschinenkünstler (Bimbo Town) noch an seinen überm Fahrstuhlschacht tanzenden Puppen. Nach und nach bewegten sich immer mehr Gegenstände. Elegant verknüpfte die Installation Fabrik-Historie mit dem vier Etagen tiefer versammelten Partyvolk.

"Hätte Whiting noch mehr Zeit gehabt, sogar der Fahrstuhl würde wieder funktionieren", scherzte Patrick Becker von re:tina. Dem Verein, der in dem TLG-verwalteten Gebäude ein Zentrum für Kultur und Neue Medien schaffen möchte - worauf Henrik Wöhlers eindringliche Lesung von Poes "Verräterischem Herz" einen angenehmen Vorgeschmack gab.

Zum Ausklang (und als Einstimmung auf den nächsten Tag) lief um 24 Uhr ein letzter Stummfilmklassiker: "Menschen am Sonntag" - und eben solche feierten bis in die Morgenstunden munter weiter.

Hendrik Pupat

Die achte 24-Stunden-Ausstellung findet am 10. November zur euro-scene im Schauspielhaus statt.

 

© Leipziger Volkszeitung Online vom 17.06.2001