Die unerträgliche Banalität des Seins? Die suchte man vergeblich
diesen Sonnabend zwischen null und 23.59 Uhr am Leipziger Canale
Grande. Statt dessen hatte sich zur neunten 24-Stunden-Ausstellung
(Motto: Banale Grande) der GalerieRieRiemann "Der diskrete Charme
der Banalität" breit gemacht am Karl-Heine-Kanal. Zwei Dutzend
Künstler stellten einen Tag lang versponnene bis anspruchsvolle
Werke aus. Schauplatz: Ein ehemaliger Gewerbehof des Unternehmers
Heine, ohne dessen Pioniergeist im 19. Jahrhundert aus Plagwitz nie
ein florierender Industriestandort geworden wäre.
Heute sind die Fabriken verwaist. Dafür gilt Plagwitz inzwischen
als attraktives Wohnviertel, zieht Studenten und Familien an und,
tatsächlich ja: Kultur. Das Theaterzelt der jungen Welt, das Kino
Cineding, die soziokulturellen Zentren Kanal 28 und Gieszerstraße 16
sind allesamt jungen Datums. Etablierter schon die alte Spinnerei
mit Ateliers und Tangofabrik sowie die Schaubühne im Lindenfels. Im
Entstehen Heines baufälliger Hof, den der Installationskünstler
Peter Liebe durch eine Metallwerkstatt und Studios wiederbeleben
möchte.
Ein schönes Umfeld für ein Event, das Party und Kunst verbindet,
und einen Pflichttermin darstellt für alle, die Entdeckungen lieben!
Die 24-Stunden-Ausstellungen sind stets gruppendynamische Prozesse.
Wie sie genau ablaufen, weiß vorab niemand. Diesmal hat sogar der
Titel eine ungeahnte Entwicklung durchgemacht. Er sollte schlicht
"Canale Grande" lauten. Doch irgendwer verstand "Banale Grande". Und
auf eine solche wartet die Menschheit ja spätestens seit Duchamps
legendärem Pissoir.
Ein Ready-made grüßte denn auch gleich am Hofeingang: Zwei
Bagger, ein großer, ein kleiner, Schaufel an Schaufel "Madonna mit
Kind", verriet das Ausstellungsschild. Meter weiter wuchs Gras aus
einer Durchreiche. Drinnen lag ein Osternest. Offenbar schon sehr
lange, irgendein zombiehaftes, rosafarbenes Etwas war den bunten
Eiern entschlüpft. "Vergessen", taufte Ulrike Lux dieses recht
unappetitliche Werk. Türen später lockte der Duft von Crépes. Am
Tisch wurde diskutiert, was denn nun banal sei. Crpes? Geld? Oder
bloß die Banalität selbst?
Das Grübeln verging spätestens an einem Käfig, in den Sandro
Porcu einen unermüdlich hin und her wackelnden Braunbären (Farbe auf
Holz) gesperrt hatte. Drüber leuchtete der Titel: "Wie macht der
Bär?" Davor leuchteten die Augen zumindest der junggebliebenen
Gäste.
Dekorative Malerei steuerten Jesse Wood (Banale) und Alexander
Friebel (Grande) bei. Listig zeigte sich der in Leipzig gestrandete
US-Maler Steve Lewis: Da er seine Werke nicht mit Banalem in
Verbindung gebracht sehen wollte, schlüpfte er kurzerhand in die
Rolle von Jonny Owe, dem Stargast aus Kalifornien, der allen die
Show stehlen wollte und nebenbei noch leuchtend bunte Formspiele auf
drei Leinwände zauberte.
In einer zum Kino umfunktionierten Halle standen zudem "Das
Wirtshaus im Spessart", Billy Wilders platt-witzige Farce "Eins,
zwei, drei", die Künstlerbiografie "Basquiat" und mehr auf dem
Programm. An dieser Stelle war längst klar: Was banal ist und was
nicht, hängt allein vom Betrachter ab.
Blieben als weitere Möglichkeiten: An der Bar unter einem
stattlichen Schiffsrumpf ein Bier nehmen? Zwischen verwaisten
Maschinen im Werkraum die Tunes des DJs in Tanz verwandeln? Oder am
Kanal abseits des Lagerfeuers Jim Whitings morbid-zauberhafter
Installation "Water Baby" zuschauen? Der Maschinenkünstler hatte
eine Puppe mit Herzschlag ausgestattet und per Schwenkarm ins Wasser
gelassen. Zu verfolgen war der Tauchgang zwischen Algen und Schlamm
am Videomonitor. Ein Gast versicherte: "Gerade hat das Baby
gelächelt!" So groß kann Banales sein.
Die nächste Leipziger 24-Stunden-Ausstellung findet vermutlich im
Herbst am Tag der Umstellung auf die Winterzeit statt. Thema: Zeit.
Dauer: 25 Stunden
Hendrik Pupat
Mehr Informationen im Internet: http://www.galerierieriemann.de/