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27. Mai 2002

© Leipziger Volkszeitung vom Sonntag, 26. Mai 2002

Einen Tag lang "Banale Grande" am Canale Heine


Die unerträgliche Banalität des Seins? Die suchte man vergeblich diesen Sonnabend zwischen null und 23.59 Uhr am Leipziger Canale Grande. Statt dessen hatte sich zur neunten 24-Stunden-Ausstellung (Motto: Banale Grande) der GalerieRieRiemann "Der diskrete Charme der Banalität" breit gemacht am Karl-Heine-Kanal. Zwei Dutzend Künstler stellten einen Tag lang versponnene bis anspruchsvolle Werke aus. Schauplatz: Ein ehemaliger Gewerbehof des Unternehmers Heine, ohne dessen Pioniergeist im 19. Jahrhundert aus Plagwitz nie ein florierender Industriestandort geworden wäre.

Heute sind die Fabriken verwaist. Dafür gilt Plagwitz inzwischen als attraktives Wohnviertel, zieht Studenten und Familien an und, tatsächlich ja: Kultur. Das Theaterzelt der jungen Welt, das Kino Cineding, die soziokulturellen Zentren Kanal 28 und Gieszerstraße 16 sind allesamt jungen Datums. Etablierter schon die alte Spinnerei mit Ateliers und Tangofabrik sowie die Schaubühne im Lindenfels. Im Entstehen Heines baufälliger Hof, den der Installationskünstler Peter Liebe durch eine Metallwerkstatt und Studios wiederbeleben möchte.

Ein schönes Umfeld für ein Event, das Party und Kunst verbindet, und einen Pflichttermin darstellt für alle, die Entdeckungen lieben! Die 24-Stunden-Ausstellungen sind stets gruppendynamische Prozesse. Wie sie genau ablaufen, weiß vorab niemand. Diesmal hat sogar der Titel eine ungeahnte Entwicklung durchgemacht. Er sollte schlicht "Canale Grande" lauten. Doch irgendwer verstand "Banale Grande". Und auf eine solche wartet die Menschheit ja spätestens seit Duchamps legendärem Pissoir.

Ein Ready-made grüßte denn auch gleich am Hofeingang: Zwei Bagger, ein großer, ein kleiner, Schaufel an Schaufel "Madonna mit Kind", verriet das Ausstellungsschild. Meter weiter wuchs Gras aus einer Durchreiche. Drinnen lag ein Osternest. Offenbar schon sehr lange, irgendein zombiehaftes, rosafarbenes Etwas war den bunten Eiern entschlüpft. "Vergessen", taufte Ulrike Lux dieses recht unappetitliche Werk. Türen später lockte der Duft von Crépes. Am Tisch wurde diskutiert, was denn nun banal sei. Crpes? Geld? Oder bloß die Banalität selbst?

Das Grübeln verging spätestens an einem Käfig, in den Sandro Porcu einen unermüdlich hin und her wackelnden Braunbären (Farbe auf Holz) gesperrt hatte. Drüber leuchtete der Titel: "Wie macht der Bär?" Davor leuchteten die Augen zumindest der junggebliebenen Gäste.

Dekorative Malerei steuerten Jesse Wood (Banale) und Alexander Friebel (Grande) bei. Listig zeigte sich der in Leipzig gestrandete US-Maler Steve Lewis: Da er seine Werke nicht mit Banalem in Verbindung gebracht sehen wollte, schlüpfte er kurzerhand in die Rolle von Jonny Owe, dem Stargast aus Kalifornien, der allen die Show stehlen wollte und nebenbei noch leuchtend bunte Formspiele auf drei Leinwände zauberte.

In einer zum Kino umfunktionierten Halle standen zudem "Das Wirtshaus im Spessart", Billy Wilders platt-witzige Farce "Eins, zwei, drei", die Künstlerbiografie "Basquiat" und mehr auf dem Programm. An dieser Stelle war längst klar: Was banal ist und was nicht, hängt allein vom Betrachter ab.

Blieben als weitere Möglichkeiten: An der Bar unter einem stattlichen Schiffsrumpf ein Bier nehmen? Zwischen verwaisten Maschinen im Werkraum die Tunes des DJs in Tanz verwandeln? Oder am Kanal abseits des Lagerfeuers Jim Whitings morbid-zauberhafter Installation "Water Baby" zuschauen? Der Maschinenkünstler hatte eine Puppe mit Herzschlag ausgestattet und per Schwenkarm ins Wasser gelassen. Zu verfolgen war der Tauchgang zwischen Algen und Schlamm am Videomonitor. Ein Gast versicherte: "Gerade hat das Baby gelächelt!" So groß kann Banales sein.

Die nächste Leipziger 24-Stunden-Ausstellung findet vermutlich im Herbst am Tag der Umstellung auf die Winterzeit statt. Thema: Zeit. Dauer: 25 Stunden

Hendrik Pupat


Mehr Informationen im Internet: http://www.galerierieriemann.de/




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