Leipzig/MZ. Dabei war der
kalkulierte Schock nur der Auftakt zu einer Präsentation, die im
Schauspielhaus und im benachbarten Datenverarbeitungszentrum
bemerkenswerte Überraschungen bereithielt. Neben eher
selbstverständlichen Körper-Bildern aus Malerei und Fotografie
konnte man intelligente Übertragungen von organischen Zuständen in
grafische Darstellung entdecken - etwa in einem Zyklus von Harald
Alff Buttermann, der die Werte von Blutdruck-Messungen zum seriellen
"Kreislauf" verarbeitete. Andreas Taubers "Körperstruktur"
übersetzte das genetische Informationssystem der DNS in ein
leibfüllendes Zeichen-Alphabet, Carl Sander untersuchte in der Serie
"Body/Measuring" einzelne Körperteile mit bewusst untauglichen
Messgeräten und -skalen.
Zwischen harmlosen Kalauern und artistischen Allgemeinplätzen
fanden sich zudem hellsichtige und erschütternde Reflexe auf das
Zeitgeschehen: So malte Michael Touma "Die Zuschauer" direkt auf
Fernseh-Bildschirme und erhob das weiße Rauschen zur Grundierung des
heutigen Menschenbildes.
Manuel Reinartz inszenierte für seinen Foto-Triptychon eine Halde
aus künstlichen Gliedmaßen, deren anorganische Struktur erst auf den
zweiten Blick erkennbar war. Und Verena Hamm nahm das Zitat eines
Berichterstatters aus New York zum Anlass für ihre klinisch stille
Installation: Über einem symmetrisch ausgelegten Muster aus
Atemschutzmasken las man die endlos umlaufende Satzschleife "You can
smell the bodys" - "Du kannst die Körper riechen".
Dass die aktuellen Erfahrungen der menschlichen Verletzlichkeit
auch die Wahrnehmung der Theater-Produktionen beeinflussen würden,
hatten die euro-scene-Veranstalter in ihrer Planung natürlich nicht
mehr berücksichtigen können. Aber da der Kurator Michael Freundt bei
seiner Auswahl ohnehin eher pathologische Fallstudien als die
pathetische Feier von schönen Leibern im Sinn hatte, bot das
Programm brisante Assoziationen.
Die begannen bereits beim Blick auf die Eintrittskarte, wo sich
das klein gedruckte Wort "Leibesvisitationen" wie die Ankündigung
von verschärften Sicherheitsmaßnahmen las. Im Gastspiel der Gruppe
Ultima Vez, die mit ihrer Performance "Scratching the Inner Fields
(Die inneren Felder aufreißen)" sieben Tänzerinnen auf einen
rasanten Crash-Kurs schickt, werden dann Tempo und Text zum Mittel
der Gewalt. Da fallen Gewebe-Teile vom Bühnenhimmel, deren Menge
sich von der umkämpften Beute schon bald zum bedrohlichen
Bombardement steigert. Da liefert die Kollision mit dem Gegenüber
den Impuls für eigene Bewegung, führen Körperteile ein
gespenstisches Eigenleben und zucken Gestalten unter Peter Verhelsts
apokalyptischen Rätseln ("Die Wunden haben die Form von Blumen.
Vielleicht lächeln die Toten deshalb").
Das ekstatische Spiel, das der flämische Choreograf Wim
Vandekeybus hier mit seinem Septett von Tänzerinnen entwickelt,
findet in Michael Laubs Inszenierung "pigg in hell (Schwein in der
Hölle)" mit Astrid Endruweit dann eine solistische Steigerung.
Selten ist Sexualität als Ur-Thema von Tanz und Theater so
eindeutig-eindrücklich, so beängstigend und zugleich so komisch
dargestellt worden.
Die Darstellerin, die bruchlos zwischen lockerem Tänzchen und
spastischem Krampf wechseln kann, erzählt und agiert wie ein
Stand-Up-Komödiant in einer Peep-Show - eine extreme Erfahrung, die
der Voyeur im Dunkeln nur angesichts seiner offenbar heilsamen
Funktion für die Exhibitionistin im Licht erträgt. Und in solcher
Ambivalenz zwischen Therapie und Kunst haben die
"Leibesvisitationen" zweifellos starke
Momente. |